Die grüne Meeresschildkröte

 

aus: Das Café am Rande der Welt

Während eines Urlaubs auf Hawaii schnorchelte ich einmal an der Küste entlang. Der Tag war bereits spektakulär gewesen, da ich zum ersten Mal in meinem Leben einen gepunkteten Aal sowie einen Tintenfisch gesehen hatte. Darüber hinaus gab es Tausende von Fischen in allen erdenklichen Farben, vom auffällig leuchtenden Neonblau bis tiefsten Rotton.

Ich war zirka 30 Meter vom Strand entfernt und tauchte gerade an einigen großen Felsen hinunter, als ich rechts von mir eine große grüne Meeresschildkröte erblickte, die neben mir herschwamm. Ich hatte bisher noch nie eine in der freien Natur gesehen und war daher außer mir vor Freude. Ich tauchte zur Oberfläche hoch, pustete das Wasser aus meinem Schnorchel und ließ mich auf dem Wasser treiben, um sie zu beobachten.

Die Meeresschildkröte befand sich genau unter mir und schwamm vom Ufer fort. Ich entschloss mich, an der Oberfläche zu bleiben, um sie eine Weile zu beobachten. Verblüfft stellte ich fest, dass es mir nicht gelang, so schnell voran zu kommen wie sie, obwohl es so aussah, als würde sie sich ziemlich langsam vorwärts bewegen. Sie paddelte hin und her mit den Flossen, um sich dann einfach wieder im Wasser treiben zu lassen. Ich trug Schwimmflossen, die mir einen kraftvollen Vorwärtsschub verliehen. Außerdem wurde meine Bewegung nicht durch eine Schwimmweste oder etwas anderes gebremst, doch die Meeresschildkröte entfernte sich immer weiter von mir, so sosehr ich auch versuchte, mit ihr mitzuhalten.

Nach zirka zehn Minuten hatte sie mich abgehängt. Erschöpft, enttäuscht und etwas beschämt darüber, dass eine Schildkröte schneller war als ich, machte ich kehrt und schnorchelte zum Ufer zurück. Am nächsten Tag kehrt ich, in der Hoffnung weitere Schildkröten zu sehen, an den gleichen Ort zurück. Und tatsächlich, zirka 30 Minuten, nachdem ich ins Wasser gewatet war, sah ich einen Schwarm kleiner, schwarzgelber Fische sowie eine grüne Meeresschildkröte. Ich beobachtete sie eine Weile, während sie um eine Koralle rumpaddelte und versuchte ihr zu folgen, als sie vom Ufer fortschwamm. Wieder war ich überrascht festzustellen, dass ich nicht mit ihr mithalten konnte. Als ich das bemerkte, hörte ich auf mit den Schwimmflossen zu paddeln und ließ mich treiben, um sie zu beobachten. In diesem Moment vermittelte sie mir eine wichtige Lebenslehre.

Als ich mich an der Oberfläche treiben ließ, fiel mir auf, dass die Schildkröte ihre Bewegungen der des Wassers anpasste. Wenn sich eine Welle auf das Ufer zubewegte und der Schildkröte ins Gesicht schwappte, ließ diese sich treiben und paddelte gerade so viel, um ihre Position zu halten. Und wenn die Welle wieder zum Ozean hinausströmte, paddelte sie schneller, um die Bewegung des Wassers zu ihrem Vorteil zu nutzen. 

Die Schildkröte kämpfte nie gegen die Wellen an, sondern nutzte sie für sich.

Ich konnte nicht mit ihr mithalten, weil ich die ganze Zeit strampelte, egal in welche Richtung das Wasser strömte. Anfangs war das noch in Ordnung und es gelang mir, auf gleicher Höhe mit der Meeresschildkröte zu bleiben. Ich musste meine Bewegungen sogar manchmal etwas verlangsamen. Aber je mehr ich gegen die heranrollenden Wellen ankämpfte, desto anstrengender wurde es. Und daher hatte ich nicht genug Kraft übrig, um die zurückströmende Welle auszunutzen.

Während eine Welle nach der anderen zum Ufer rollte und wieder zurück strömte, wurde ich immer erschöpfter und schwamm weniger effektiv. Die grüne Meeresschildkröte dagegen passte ihre Bewegungen den Wellen optimal an und kam daher schneller voran als ich.

Als ich zum Strand zurückkam, nachdem ich die Schildkröte den zweiten Tag beobachtet hatte, war ich erfüllt von all diesen Erkenntnissen. Ich setzte mich und hielt die Gedanken in meinem Notizbuch fest. Ich erkannte, dass die hereinrollenden Wellen in meinem Leben aus all den Leuten, Aktivitäten und Dingen bestehen, die versuchen, meine Aufmerksamkeit, Energie und Zeit für sich zu gewinnen, die aber nichts mit meinem Zweck der Existenz zu tun haben. Die zurückströmenden Wellen sind die Menschen, Aktivitäten und Dinge, die mir dabei helfen können, meinen Zweck der Existenz zu erfüllen. Je mehr Zeit und Energie ich daher auf hereinrollende Wellen verschwende, desto weniger Zeit und Energie bleibt mir für die zurückströmenden Wellen.

Seit ich dieses Bild in meinem Kopf habe, betrachte ich die Dinge aus einer anderen Perspektive. Ich entscheide viel bewusster, wie viel ich "herumpaddele" und aus welchem Grund.

Marion Lampert-Gruber

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